Landesenquete der Anwaltschaft für Menschen mit Behinderung am 3. Dezember 2015

Obmann Mag. Heinz Pichler spricht über den Zusammenhang von Armut und Krankheit

25. 11. 2015

Mindestsicherung führt zu sozialen Notlagen

Zwei gravierende Mängel im derzeitigen Mindestsicherungsgesetz führen zu sozialen Notlagen. 67.000 Kärntnerinnen und Kärntner gelten als armutsgefährdet und stehen knapp 4.000 Männer, Frauen und Kinder, die Minde...

07. 12. 2015

Die 4. Kärntner Soziale Dialog Konferenz im Medienspiegel

Wir bedanken uns bei allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern für die spannenden Diskussionen und die wertvollen Beiträge zum Thema Armut und Gesundheit. Ein Abschlussbericht mit Kurzzusammenfassungen der Referate sowie d...

Mag. Heinz Pichler vom Kärntenr Netzwerk gegen Armut und soziale Ausgrenzung war im Rahmen der Landesenquete der Anwaltschaft für Menschen mit Behinderung eingeladen zum Thema Armut und Krankheit zu sprechen.

Die gesundheitliche Folgen von Armut: Oder – warum Armut krank macht!

Dass GESUNDHEIT, ein Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens ist und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen bedeutet, wurde durch die Welt-Gesundheit-Organisation (WHO) deutlich definiert.

Dass ARMUT als mangelnde Befriedigung von Grundbedürfnissen wie Arbeit, Nahrung, Wohnraum, Gesundheit und Bildung zu bezeichnen ist, primär als sozial-strukturelles (nicht individuelles) Phänomen bezeichnet werden kann und als Zustand gravierender sozialer Benachteiligung oder als „Mangel an Teilhabemöglichkeiten“ am Gemeinwesen verstanden wird, dürfte unwidersprochen Bestand des öffentlichen Diskurses sein.

Dass, ausgehend von diesen Definitionen bereits erkennbar ist, dass zwischen Wohlergehen und mangelnder Befriedigung von Grundbedürfnissen ein Gegensatz besteht, oder, anders ausgedrückt: Dass sich Armut und Gesundheit genauso wenig verträgt wie eingeschränkte Teilhabe und gesundheitliche Zufriedenheit und damit die Schlussfolgerung gezogen werden kann, dass Armut ein sozialer Krankheitsfaktor ist, so hoffe ich, wird allgemeiner Grundkonsens sein.

Dass also Armut krank macht, dürfte für sozial Denkende, mit kritischem Sinnesverstand konstituierte Menschen und für Zeitgenossen/innen die mit Urteilskraft ausgestattet sind, unübersehbar sein. Die Wenigen, die den sozialen Kälteeinbruch, den armutsbetroffene Menschen erleben, nicht erkennen, leiden entweder unter Realitätsverlust oder es mangelt an sozialer Empathie.

Damit das soziale Krankheitsphänomen „Armut“ und die damit verbundenen Krankheitsfaktoren beziffert werden können, erfolgt die „Vermessung“ der Armut in Form von regelmäßigen Haushaltsbefragungen. In Kärnten sind etwa 380 Haushalte, in denen etwa 770 Personen leben, einbezogen. Die Ergebnisse dieser europäischen Standardmethoden, bezeichnet als „EU-SILC“, weisen folgende Daten/Fakten aus: 14 Prozent der Bevölkerung sind nach EU-SILC in Österreich armutsgefährdet – sie verfügen über weniger als 60% des mittleren Einkommens, das sind rund 1,08 Millionen Menschen. Etwa 220.000 Berufstätige sind trotz Erwerbstätigkeit „Working poor – arbeitend Arm“ – in deren Haushalten leben etwa 470.000 Personen (EU SILC 2014).

Weil die reine „Bezifferung von Armut“ (in den Industriestaaten als „relative Armut“ bezeichnet) noch keinen Aufschluss über die sozialen Lebensbedingungen liefert, wurden in die Statistik auch sogenannte „soziale Ausgrenzungsfaktoren“, bezeichnet als „Deprivation“ eingeführt: Rund 330.000 Menschen sind in Österreich „erheblich materiell depriviert“, also existentieller Teilhabemöglichkeiten „beraubt“ (lateinisch „privare“). Richten wir den Blick auf deren Lebensverhältnisse, lichten sich die aktuellen sozialen Schieflagen etwas deutlicher.

Einige Beispiele zur Verdeutlichung: Beinahe 80 Prozent der Armutsgefährdeten geben an, dass sie sich nicht mindestens einmal am Tag ordentlich satt essen können oder vielfach täglich oder ab der Monatsmitte „nur Kartoffel mit Butter essen“; 68% sind auf regelmäßige Zuwendungen und Unterstützung von Freunden/Bekannten angewiesen; 63% können aus Ersparnisgründen im Winter nicht angemessen einheizen; ein Drittel bekommt „nie Besuch oder hat keine Chance Freunde zu sich nach Hause einzuladen“; ein Fünftel lebt in einer Substandardwohnung – Wasser und Klo außerhalb; …!

WARUM Armut krank macht und für die betroffenen Menschen der „soziale Grundwasserspiegel“ sinkt und damit einhergehende soziale Krankheitsherde entstehen, kurz, welche sozialen Begründungen dafür maßgeblich sind, soll an drei Ursachen erläutert werden:

Erste Ursache: Eine „Austeritätspolitik“ – sprich ein „Sparzwang“ verknüpft mit einer Einschränkung des politischen Handlungsrahmens der entgegen einer vernunftorientierten, an volkswirtschaftlichen Parametern orientierten Verteilungspolitik die Armutsgefährdete (nicht die Reichen) in noch prekärere Lebenslagen versetzt – Stichwort Erwerbsarbeitslosigkeit, Kürzungen von Sozialleistungen, atypische Beschäftigung,…. !

Damit gekoppelt wäre als zweite Ursache, die „verteilungspolitische Schieflagen“ zu erwähnen, die wohlhabende Schichten steuerlich begünstigt, Milliardeneinnahmen, etwa durch eine vernünftige Transaktionssteuer negiert und gleichzeitig den Ausschluss von immerhin derzeit rund 420.000 Menschen aus den Arbeitsmarkt toleriert.

Die dritte Ursache: Ein enormer Reichtumszuwachs in Händen einiger Weniger, gekoppelt mit einem unkontrolliert wuchernden Finanz-Spekulations-System und eine enormen „Angst der Politik vor den Reichen“ (Küberl) verhindert Gesetzesänderungen, die eine Verteilungsgerechtigkeit fördern würden.

WELCHE individuellen Folgen die Krankheit „Armut“ bewirkt, ist durch empirische Studien belegt – einige Befunde dazu: Qualitativ hochwertige Lebensmittel sind kostenintensiv - also nicht leistbar; bei Erkrankungen wird später ein Arzt aufgesucht; Rehabilitationen sind mit hohen Selbstkosten verbunden; Ängste vor Stigmatisierungen beim Arztbesuch sind vorherrschend; psychische Belastungserkrankungen sind unter Armutsbetroffenen häufiger anzutreffen; zwischen Wiens ärmsten Bezirk und dem reichsten Bezirk liegen 4 Jahre weniger Lebenserwartung (Schenk) und, das Gesundheitsbewusstsein und Gesundheitsverhalten bei niedrigen Einkommensschichten ist durch Existenzgefährdung mangelhaft ausgeprägt. (vgl. Schmid/Richter)

Ein Beispiel aus der AK-Studie „Working Poor II“ belegt die zuletzt angesprochene Einstellung: »Die eigene Gesundheit ist mir nicht so wichtig. Wenn Du schauen musst, dass du überhaupt durchkommst, kannst ja nicht jammern, weil du Kopfweh oder Magenweh oder sonst was hast. Ich hab das und noch einiges, aber was soll ich tun? Wegen jedem Wehwehchen zum Doktor rennen? Nein! Mir persönlich ist es total wurscht! Sterben müssen wir alle, oder? Früher oder später jedenfalls. Also kümmere mich nicht darum, was gesund oder ungesund ist. « Josef (24), Hilfsarbeiter

Von den 60 Befragten der AK-Studie „Working Poor II“ noch einige bemerkenswerte Befunde zu ihrem Gesundheitszustand: 58 Personen haben täglich starke Kopf-, Bauch-, Magen- oder Rückenschmerzen; 30 Frauen und 15 Männer haben Zahnprobleme; 39 Männer und 11 Frauen trinken täglich Alkohol. Alle 60 Befragten leiden an Adipositas (Fettleibigkeit) und alle 60 Befragten sind mit ihrem Leben »unzufrieden« und »unglücklich«. (Niederer)

Welche volkswirtschaftlichen „Schäden“ durch Armut und soziale Ausgrenzung entstehen bzw. welche finanziellen Mehrkosten sich für die solidarisch organisierten Versicherungssysteme durch zusätzliche krankmachenden Faktoren ergeben, sind erst sehr dürftig erhoben. Hier wäre ein breites Handlungsfeld für Forschung, Prävention und Bewusstseinsbildung gegeben.

Damit Armut nicht die Gesundheit gefährdet und Krankheit oder Behinderung nicht arm macht, dafür bedarf es einer sozialpolitischen Offensive! Das Kärntner Armutsnetzwerk hat diesbezüglich einen „Aktionsplan“ (Beilage) vorgelegt der, neben gesundheitsfördernden Aktivitäten vor allem auch Vorschläge unterbreitet, damit die Erwerbsbeteiligung möglich, die soziale Teilhabe gewährleistet und der Raubzug gegen das Gemeinwesen eingeschränkt wird.

Ergänzende Informationen  finden sie auf der Homepage des Kärntner Armutsnetzwerkes; die „Soziale Dialog Konferenz“ wird sich am 04. Dezember dieser Thematik widmen; die Studie „Armut macht krank“ (Schmid/Richter) ist zu empfehlen; weitere Informationen bietet meine Sendung „Panoptikum Bildung“ am Freitag, 04. Dezember, um 18:00 Uhr / Radio AGORA, 105,5 MHz zum Thema: „Die Vermessung der Armut“ mit Monika Skazedonig und Helmut Arnold.