Kärntner Armutsstudie 2024

23. 09. 2024

Dialogforum - Armutserfahrene treffen Ämter und Behörden

Österreichweites Treffen von Menschen mit Armuts- und Ausgrenzungserfahrung. In Dialogforen diskutieren Betroffene direkt mit Vertreter*innen von Ämtern und Behörden. Bei dieser Veranstaltung soll es darum...

24. 09. 2024

Ergebnispräsentation der Kärntner Armutsstudie 2024

Die Kärntner Armutsstudie 2024 Die Krisen der vergangenen Jahre haben die Zahl der armutsgefährdeten und -betroffenen Menschen in Österreich erhöht. Das sagt die Statistik,...

Der lange Atem der Armut

„Armut hat einen langen Atem“, erklärt Evelyn Dawid, die Autorin der eben vorgestellten neuen Kärntner Armutsstudie: „Sehr häufig wurzelt sie in der Kindheit und Jugend. Wenn sie sich einmal eingestellt hat, lässt sie sich nur schwer abschütteln. Und sie wird immer wieder zwischen den Generationen weitergegeben“. Die Studie erzählt die Lebensgeschichten von Menschen, die in Kärnten in Armut leben, und zeigt so auf, wie Frauen, Männer und Kinder in Armut geraten können und was in Armut hält. Den statistischen Rahmen dazu liefert eine Online-Befragung von Expert*innen aus sozialen Einrichtungen, Ämtern, Behörden und Interessenvertretungen.

Armut wurzelt früh im Leben

„Es war sehr viel Gewalt auch im Spiel, gegenüber der Mama, gegenüber mir“, erzählt der 22-jährige Theo. Ihm sind viele der Risikofaktoren für Armut, die schon in der Kindheit und Jugend auftreten, bestens vertraut. Gewalt gegen Kinder und Frauen ist nur einer von ihnen. Dazu kommen etwa Armut, Sucht, der Verlust von Bezugspersonen, häufige Übersiedlungen oder Bildungsabbrüche. All das muss nicht in Armut führen, macht aber fürs Leben verwundbar. Gleichzeitig kann an all diesen Punkten angesetzt werden, wenn man Armut nachhaltig gar nicht erst entstehen lassen möchte.

Armut verläuft in Teufelskreisen

Am Anfang stehen Jobverlust und längere Arbeitslosigkeit, es folgen AMS-Maßnahmen und ein nur kurzfristiger Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt. Mit dem neuerlichen Jobverlust ist der Teufelskreis in Gang gesetzt und bleibt oft für Jahre oder gar Jahrzehnte in Bewegung. Mit der Zeit fallen die Kurzzeitjobs weg. Verzagen und Selbstzweifel werden übermächtig, wie der 47-jährige Udo beschreibt: „Man verliert irgendwann sein Selbstwertgefühl, man verliert sein Vertrauen in die Wirtschaft oder in die Regierung, weil irgendwo läuft ja was falsch, weil es war ja nie so, dass ich gesagt habe: Ich will jetzt arbeitslos sein und Arbeitslosengeld kassieren.“ Und mit der Zeit stellt sich das Gefühl ein, auf der Stelle zu treten, sagt die 45-Jährige Stephanie: „Dann siehst du immer, was die anderen machen, und ich selber denk mir: Ich bin da irgendwie fast stehengeblieben.“

Wo Armut ist, sind psychische Probleme nicht weit

Gut 80 Prozent der Sozialexpert·innen kreuzten im Fragebogen an, dass sie oft Armutsbetroffene mit psychischen Problemen beraten: Vereinsamung, Existenzängste, Perspektivenlosigkeit sowie Probleme bei der Alltagsbewältigung seien allgegenwärtig. Auch die Betroffenen, die in den Interviews zu Wort kommen, berichten auffallend häufig von Depressionen oder Burnout-Symptomen. „Qualifikationsdefizite sind relevant, aber die psychische Gesundheit wird allzu oft nicht untersucht und bleibt unberücksichtigt“, erklärt der Obmann des Kärntner Armutsnetzwerks, Christian Eile. „Das ist dann problematisch, wenn eine nicht diagnostizierte psychische Erkrankung zu AMS-Sperren führt, weil sie fälschlicherweise als mangelnde Kooperationsbereitschaft ausgelegt wird. Qualifizierbarkeit herzustellen bedeutet, vor allem auf psychische Erkrankungen einzugehen, rasche Behandlungsmöglichkeiten zu schaffen und das möglichst umfangreich und kostenfrei.“

Viele Lücken in der Betreuung im ländlichen Kärnten

Wolfgangs Teufelskreis beginnt mit einer Kündigung im Krankenstand und dem Notverkauf seines Autos. Mit den öffentlichen Verkehrsmitteln kommt er in der Früh aus seinem Dorf nicht rechtzeitig weg, um einen neuen Job anzunehmen. In die Stadt zu ziehen, kann er sich nicht leisten. Nach 16 Jahren fleißiger Arbeit weiß er nicht mehr ein und aus. Das Hilfesystem auch nicht. Fünf Jahre später ist Wolfgang obdachlos, lebt im Park „seiner“ Bezirkshauptstadt und findet noch immer keine Unterstützung. Das gute Angebot in Klagenfurt lernt er erst kennen, als der Winter einbricht und die Polizei helfend eingreift. Obmann Eile sieht eine Möglichkeit im Ausbau der aufsuchenden und anonymen sozialen Arbeit im ländlichen Kärnten. Wolfgang wünscht sich mehr Ressourcen für die Gemeinde, wo man sich sehr um ihn bemüht hat: „Die Dame hat nicht nur Bürgerservice allein gehabt, sondern auch das Meldeamt, die Wahlvorbereitungen und die Arbeitseinteilung für die Gemeinde. Die hat extrem viel zu tun gehabt. Dass da ein bisschen entlastet wird und ihr zum Beispiel ermöglicht wird, Schulungen zu machen, dass sie eben halt Leuten wie mir noch mehr helfen kann und nicht nur sagen: Wir schreiben da jetzt einmal Kärntner in Not an, mehr kann man nicht machen.“

Die Teuerung, eine Existenzbedrohung

„Die Teuerung ist für viele zu einer existenziellen Überlebensfrage geworden“, erklärt eine Expertin im Fragebogen. Für sie und ihre Kolleg*innen ist klar, was den Kärntner Armutsbetroffenen aktuell am meisten zu schaffen macht: die hohen und immer weiter steigenden Kosten für die grundlegendsten Dinge des Lebens. Es geht ans Eingemachte: Am Ende des Monats, so bekommen 72 Prozent der Expert·innen von den Klient·innen zu hören, reiche das Geld nicht einmal mehr für den Einkauf von Lebensmitteln. Außerdem suchen seit Einsetzen der Teuerung Menschen Hilfe, die früher nicht zu Caritas, Diakonie oder Volkshilfe gekommen sind, gab ein gutes Drittel der Befragten an.

Evidenzbasierte Arbeitsgrundlage und spannendes Lesebuch

Studienautorin Dawid wünscht sich, dass alle, die in Kärnten schon bisher professionell gegen Armut gekämpft haben, die Studie am Bildschirm oder am Schreibtisch liegen haben, um mit den Ergebnissen weiterzuarbeiten. Und sie verspricht: „Das ist wirklich spannend zu lesen, nicht nur für Fachleute, sondern einfach für jeden und jede. Da sind Lebensgeschichten von Menschen drinnen, denen in ihren ersten 20 Lebensjahren so viel zugestoßen ist, wie anderen nicht in einem ganzen langen Leben.“

Armut unter der wissenschaftlichen Lupe mit breiter Unterstützung im Land

Finanziert und auch sonst nach Kräften unterstützt wurde die Kärntner Armutsstudie vom Land Kärnten und einer Kooperation wichtiger sozialer Einrichtungen (Caritas, Diakonie de La Tour, pro mente Kärnten und Volkshilfe Kärnten) sowie der Arbeiterkammer Kärnten. Organisiert wurde sie vom Kärntner Netzwerk gegen Armut und soziale Ausgrenzung.

Kontakt und weiterführende Informationen:

Evelyn Dawid (Studienautorin): evelyn.dawid@armutsnetzwerk.at  0699/123 44 963
Christian Eile (Obmann Kärntner Netzwerk gegen Armut und Ausgrenzung): 0676/6634502
Alexander Brenner-Skazedonig (Koordinator Kärntner Netzwerk gegen Armut und Ausgrenzung): office@armutsnetzwerk.at 0676/3429448